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Das Glück des eigenen Unglücks: die anderen sind schuld

Der kindliche Wiedergutmachungsanspruch hält nicht nur unsere innere Realität am Leben, sondern lässt uns dadurch automatisch zu Opfern in unserem weiteren Leben werden. So paradox sich dies auf den ersten Blick anhört, so oft findet doch genau das statt: Es gibt unendlich viele Menschen, die nicht glücklich werden wollen, weil sie ihr Glück in dem bekannten Unglück gefunden haben, in der kindlichen Hoffnung, nun endlich gerettet und erlöst zu werden. Sie bleiben in einer Beziehung, die ihnen nicht guttut, verharren in einer beruflichen Situation, von der sie wissen, dass sie etwas anderes wollen, oder können die Vergangenheit, die ihnen Schmerzen bereitet hat, nicht hinter sich lassen. Zutiefst gekränkt stehen sie noch immer – ohne verzeihen zu können – ihrem ersten Schmerz und auf dieser Grundlage allen weiteren schmerzhaften Situationen in ihrem Leben gegenüber. So kommen immer wieder Menschen in die Beratung, die zum Teil noch nach zehn Jahren und mehr eine alte Beziehung nicht abgeschlossen oder den Verlust des Jobs nicht verwunden haben. Sie sind verbittert und verhärtet, leiden häufig unter Körpersymptomen und ihr Leben ist blockiert. »Das Leben meint es nicht gut mit mir«, »Ich bin nicht liebenswert«, »Die anderen Menschen sind schlecht« sind typische Aussagen von Betroffenen, die in ihrer inneren Realität gefangen leben. Sie haben sich in eine Klageschleife über ihr Leben begeben, über die nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch ihre Umwelt längst resigniert hat. Sich ein Leben aufgebaut zu haben, in dem man sich nicht von dem lösen kann, was nicht mehr ist oder was nicht richtig ist, hat seine Ursache im ungelösten Wiedergutmachungsanspruch an unsere ersten Bezugspersonen. Wenn wir beginnen, uns in unserem Leben als Opfer zu fühlen, und der Überzeugung sind, dass wir unsere Situation nicht ändern können, dann ist es höchste Zeit, dass wir aus dem Sumpf der inneren Realität aussteigen und uns daran erinnern: Es gibt keinen erwachsenen Grund, im Leid vergangener Beziehungen zu verharren. Es gibt keinen Grund, an Personen, Situationen oder Beziehungen beruflich wie privat festzuhalten, die uns schaden und in denen wir nicht glücklich sind. Es gibt keine Grundlage, »es nicht zu schaffen, zu gehen, oder es nicht zu schaffen, klärend auf Augenhöhe zu bleiben«. Sich als Erwachsener als Opfer zu fühlen kann nur dann geschehen, wenn wir uns nicht von der kindlichen Ebene verabschieden wollen. Ein Kind ist Opfer – ein Erwachsener ist immer auch Täter. Solange wir nicht bereit sind, das anzuerkennen, haben wir unser Elternhaus noch nicht verlassen und erwarten als kindlicher Erwachsener von unserem Umfeld hilflos wie vergeblich auf die nächste Wiedergutmachung.

Prieß, Mirriam. Zeit für einen Spurwechsel: Wie wir aufhören uns selbst zu blockieren und dem Leben eine neue Richtung geben (German Edition) . Südwest Verlag. Kindle-Version.